ALLEIN AUF HOHER SEE

23.08.2022 – Irgendwie sind wir doch alle eher so „Komfort-Segler“……wir schippern mit der Jolle auf der Alster herum oder befahren mit der gut ausgestatteten Fahrtenyacht die dänische Südsee. So oder so – wir können spätestens nach Sonnenuntergang warm duschen, gut essen und dann im eigenen Bett oder doch mindestens in einer kuscheligen Koje selig schlafen.

Und doch gibt es HSCer, denen das nichts gibt. Sie suchen das Abenteuer, segeln mit kleinsten, rudimentären Booten bei jedem Wetter auf hoher See durch die Nacht, immer mit vollem Speed, die Konkurrenz im Blick. Duschen? Ja, aber mit Seewasser. Essen? Ja, leckere Proteinriegel und angereicherte Tütenmahlzeiten. Schlafen? Auch, aber immer nur 20 Minuten am Stück.

Die Rede ist von den „Ministen“, den Fans der Classe Mini 6.50. Unter den vielen Franzosen in dieser Klasse, die eine hochsolidarische und eingeschworene Gemeinschaft bilden, finden sich auch immer mal wieder einige (wenige) Deutsche – wenn auch selten. Jörg Riechers, Andreas Deubel (HSC) und Jan Heinze sind Beispiele….und Marc Eric Siewert (25, HSC), mit dem ich über seine Leidenschaft und seine Ambitionen gesprochen habe.

Marc-Eric im HSC Opti

Marc, viele Clubkameraden*innen kennen Dich noch aus Deiner Jugendzeit im HSC. Ich erinnere mich gut an Deine Trainertätigkeit mit den Opti-Kids. Aber man trifft Dich hier im Club nur noch selten an……

Ja, ich lebe schon seit ziemlich genau 6 Jahren in Stralsund, wo ich Wrtschaftsingenieurwesen/Elektrotechnik studiere. Dort habe ich auch meinen Mini 6.50 Proto liegen und kann vor der Haustür trainieren.

Beim Sieg im Laser während der Stralsunder Woche

Wie kommt ein Jollensegler wie Du zur Classe Mini 6.50?

Meine Segelkarriere verlief zunächst in den üblichen Bahnen: Opti und anschließend Laser, beides auf Leistungs-Regattaniveau. Noch während meiner Opti-Zeit (im alter von 10 Jahren) habe ich eines Abends 2007 meinem Vater am PC über die Schulter geschaut. Er verfolgte fasziniert kleine, bunte Boote auf einer virtuellen Seekarte. Es lief gerade die Mini-Transat, das wichtigste Rennen der Klasse von Frankreich über die Azoren in die Karibik (damals noch von Frankreich über Madeira nach Brasilien) und ich fand das sofort ziemlich spannend. Von da an war mir klar, dass das „mein Ding“ ist! Und seit dem hatte ich in puncto Segeln nichts anderes mehr im Kopf, als die Mini Transat zu schaffen. Ausserdem bin ich auch eher so der Einhandsegler-Typ. Eigene Verantwortung, eigene Entscheidungen, eigene Konsequenzen, keine Diskussionen – das liegt mir.

Da braucht man dann ja auch ein Boot…..

Klar, und da hat mein Vater mich von Anfang an ganz großartig unterstützt, finanziell wie moralisch. Wir haben den französischen Gebrauchtmarkt sondiert und schließlich ein solides und bewährtes Boot der vorherigen Generation gefunden. Man muss dazu wissen, dass sich die Klasse in Serienboote und Prototypen teilt. Letztere sind extremer ausgelegt, aufwändiger gebaut und teurer – aber eben auch schneller und interessanter. Für uns kam nur ein Proto in Frage, denn wir sind beide technisch hoch interessiert und haben Spaß daran, so ein Boot zu optimieren.

Der 6.50 vor seinem neuen Look

Erzähl‘ uns von Deinen ersten Eindrücken auf Deinem neuen Boot!

Nachdem wir uns mit dem Verkäufer einig waren, sind wir zusammen eine Doublehand-Regatta vor Lorient gesegelt. Ich weiß noch, dass ich mir an Bord völlig nutzlos vorkam und das Gefühl hatte, gar nichts von der Segelei zu verstehen. Es gab so viele neue Eindrücke, die ganzen Trimmeinrichtungen, der für so ein kleines Boot gigantisch hohe (12m) Mast, ein Canting-Keel, der riesige Gennaker, die hohen Geschwindigkeiten bis 20kn und mehr…….ich war völlig überfordert, auch weil ich vorher durch mein Studium eine kleine Segelpause eingelegt hatte, wusste aber sofort, dass ich das und nichts anderes wollte.

Das neue Gespann kurz vor der Abfahrt nach Frankreich

Du bist mit diesem Boot dann tatsächlich die letzte Mini-Transat mitgesegelt……

Ja, das ist richtig und das wollte ich unbedingt. Leider hat Corona uns da aber in unseren Vorbereitungen ordentlich zurück geworfen. Mein neues Boot lag auf dem Gelände der Stralsunder Uni und ich konnte monatelang nichts daran machen, denn das Unigelände war komplett gesperrt. Das hat meiner Performance nicht gerade geholfen; ich konnte ja auch kaum trainieren und vieles an dem Boot war noch in Arbeit. Trotzdem haben wir es geschafft, das Boot nach unseren Vorstellungen fertig zu stellen und ich konnte rechtzeitig meine Qualifikation abschließen und an den Start der Mini Transat 2021 gehen. Ich konnte auch beide Etappen beenden und war nicht letzter – darauf bin ich schon ein bisschen stolz! Besonders, wenn man berücksichtigt, wie viele Steine uns auch nebenbei in den Weg gelegt wurden.

Das neue Design

Man las in den einschlägigen Berichten, dass Du mit Seekrankheit zu kämpfen hattest. Jeder, der schon einmal wirklich seekrank war, weiss, wie heftig das sein kann und wie es die Motivation beeinträchtigt. Wie gehst Du damit um?

Ja, leider bin ich – wie übrigens auch etwa die Hälfte des Feldes – von Seekrankheit betroffen. Das ist ein echtes Handicap, aber man lernt, auch in den wirklich schlimmen Phasen noch einigermassen zu funktionieren. Zum Glück gibt es Medikamente und Pflaster, die recht gut helfen sollen. Aber toll ist das trotzdem nicht.

Aus der ferne in Sicht kommend

Es ist Nacht, stockfinster, 25kn Wind, ein raumer Kurs, die Konkurrenz gibt Vollgas und Du versuchst, mitzuhalten. Dein Boot macht 15kn Schnitt, im Surf bis über 20. Ist Angst da ein Thema? Vor einer Kollision mit einem Container, einem Wal, einem Mondfisch, oder gar einem Schiff?

Nein, Angst hatte ich eigentlich noch nie; das gibt’s bei mir an Bord nicht. Man muss immer 100% da sein. Alex Thompson, der wohl bekannteste IMOCA-Segler und wirklich ein Pfundskerl, hat mir geraten, mir einen Helikopterblick auf mein Boot vorzustellen. Das hilft tatsächlich und die Wahrscheinlichkeit einer Kollision ist ja auch nicht so wirklich groß. Und was andere Schiffe betrifft, habe ich ja noch den AIS-Monitor!

Nette Begleitung auf den 1.000 nm

Kann man in so einer Situation schlafen?

Naja, man muss ja schlafen und gewöhnt sich so eine Schlaf/Wach-Routine mit 20min Intervallen an. Also eine Stunde wach, dann 20min Schlaf. Meine diversen Timer und Eieruhren haben alle irgendwann den Geist aufgegeben und so habe ich mir jetzt einen eigenen, wasserdichten Timer gebaut mit 105dB-Sirene……

Kann man mit einem Boot der mittlerweile nicht mehr aktuellen Generation überhaupt noch mit den neuesten Protos mithalten?

Das hängt von den Bedingungen ab. Viele neuere Minis sind sogenannte „Plattbug“-Boote, also letztendlich Scows mit einem sehr voluminösen Vorschiff, das viel Auftrieb erzeugt. Das sieht zwar merkwürdig aus, funktioniert aber bestens auf raumen Kursen, wo man mit einem „Spitzbug“ im Schnitt gut einen Knoten langsamer segelt. Da kommt über so eine lange Distanz ordentlich was zusammen. Der Vorteil ist besonders auf der zweiten Etappe groß, denn da wird mit den Passatwinden fast nur raumschots gesegelt. Gibt es dagegen – wie oft auf der ersten Etappe – auch Kreuzen oder spitze Anlieger, ist man mit einem älteren Boot noch ganz gut „bei der Musik“.

Zieldurchfahrt nach Gouadeloupe

Planst Du für die kommende Saison mit einem neuen Boot?

Nein, leider nicht, denn das würde unsere finanziellen Möglichkeiten bei weitem übersteigen, da wir noch keinen Sponsor oder Partner von uns überzeugen konnten. Wir haben unser Boot seit 2019 einmal von der Kielbombe bis zum Masttopp neu aufgebaut. Dabei haben wir laminiert, geschweisst, gelötet, geklebt, genietet, genäht und praktisch alles selbst gemacht. In Sachen Bootsbau macht uns – meinen Eltern und vor allem meinem Vater und mir – so leicht keiner mehr was vor! Nun ist das Boot praktisch wie neu oder vielleicht sogar besser, weil fast alles, was kaputt gehen kann, schon kaputt war und wir nach dem Kauf alles an unsere Bedürfnisse angepasst und verbessert haben.

Wie sehen Deine mittelfristigen Pläne aus?

Zur Zeit gibt es noch keine konkrete Saisonplanung für 2023. Kleinere Regatten an der Küste wird es sicher geben, aber die großen, zeitintensiven Projekte sind aktuell nicht im Gespräch. Ich segle hier in Stralsund öfter auf einem FD die Mittwochsregatten mit oder absolviere mit meinem Boot kurze Trainingseinheiten – „mal eben non Stop um Bornholm“! Das hält mich körperlich und mental fit und schärft den Blick für die Konkurrenz. Für ein größeres Projekt fehlen mir leider aktuell „noch“ die Mittel.

Auf Guadeloupe angekommen

Und langfristig?

Ganz klar: ein IMOCA und die Teilnahme an der Vendee Globe; das ist mein Lebenstraum! Und ich werde alles menschenmögliche daran setzen, diesen Traum gemeinsam mit Familie, Freunden und dem Team zu verwirklichen. Denn so etwas schafft man nicht allein und so einen Traum möchte man auch nicht allein erleben, sondern mit anderen teilen.

Marc-Eric (links) zusammen mit Maurice Oster Doublehanded während der „Bornholm Rund”-Regatta 2022

Schon mal mit Boris Herrmann gesprochen?

Ja, tatsächlich hat mir Boris vor dem Start zur ersten Regatta in Lorient den A….h gerettet! Ich war mit meiner Planung hoffnungslos achteraus und hatte über die ganzen technischen Probleme die Proviantierung sträflich vernachlässigt. Boris hat mir dann seinen Teamcontainer geöffnet und ich durfte mich daraus bedienen! Ein wirklich großartiger Typ, dem ich für die kommende Vendee mit seiner neun „Malizia“ ganz viel Erfolg wünsche!

Marc Eric während der Warnemünder Woche 2022

Marc, wir danken Dir für das Gespräch. Dein Engagement in der Classe Mini 6.50 verdient höchsten Respekt und ich bin sicher, dass viele HSCer am Tracker sitzen und mitfiebern werden, wenn Du das nächste mal auf hoher See dabei bist!

Fotos: Marc Eric Siewert

Interview: Andreas Borrink