Fliegende Boote – Ocean Race die zweite

Ein Fly-By Bericht aus Kiel Es war an einem sehr heissen Sommertag 1973, so gegen 13:00 im HSC. Ich war 15, hatte die Schule satt und war bei Sonne und leichtem Ostwind mit der „Windy“ meines Vaters einhand rausgefahren. Kaum war ich 50m vom Steg entfernt und fühlte mich schon ein bisschen wie Moitessier, zog eine Windhose von Mello (das hiess damals noch nicht „Kajüte“) Richtung HSC-Hafen.

An dieser Stelle sei festgestellt, dass – ausser Ado Heitmann in seinem Büro (das viel später mal meines werden sollte!) und Bootsmann Hannes Schrage – niemand da war. Beide wären meine Zeugen, so sie denn noch leben würden. Denn geglaubt hat mir die Geschichte niemand und irgendwann habe ich das Windhosentrauma verdrängt.

Jedenfalls zog dieses Ding in schnell zunehmender Größe Richtung Süden, wobei es allerlei Gegenstände wie Fender, Paddel und Persenninge hoch riss und schließlich die Congerflotte der Lufthansa – mit dem passenden Kranich am Bug – ein Boot nach dem anderen kurz aus dem Wasser hob und wieder absetzte. Glaubt es oder nicht – man konnte unter den an ihren Festmachern zerrenden Booten hindurchschauen und sehen, ob das Unterwasserschiff bewachsen war! Clown-Frank, sei tapfer – „Regnocs“ gab es schon in den 70ern…….

Schnitt. Freitag, 9. Juni 2023 so gegen 13:00 Uhr in Strande, fast auf den Tag genau 50 Jahre später. Mein langjähriger Konkurrent, Chef, Freund, Surfkumpel und Vereinskamerad Manfred Schreiber hat sein 225PS-R.I.B zu Wasser gelassen. Wir wollen fliegende Boote sehen und fahren raus auf die Förde, den IMOCAS des Ocean Race entgegen, die zum „FlyBy“ im Rahmen der 6. Etappe des Ocean Race angesagt sind.

Ich hoffe auf ein Déjà Vu und möchte endlich mal wieder unter einem Boot hindurch sehen können (am Kran gilt nicht). Und diesmal gibt es Zeugen en masse; mehr, als uns lieb ist. Im Gegensatz zu den wenig begeisterten Dänen in Aarhus vor einer Woche ist hier nun alles auf dem Wasser, was schwimmt. Vom Skipper ist höchste Aufmerksamkeit gefordert, wenn er sich nicht im Katastrophen-Video auf „Segelreporter“ wiederfinden möchte. Boris kommt, da sind wir doch alle gern dabei……leider rangiert er nach Frühstart in Aarhus ziemlich aussichtslos nur an vierter Position (von fünf).

Zügig erreichen wir Kiel Leuchtturm und da kommt auch schon der erste, wieder „11th Hour“ aus USA, wieder mit deutlichem Vorsprung vor dem Schweizer Zementboot „Holcim“. Eben noch ein kleines, schwarzes Dreieck am Horizont, füllen die gigantischen Segel keine Viertelstunde später bereits das Format der Handy-Kamera. Passenderweise hat der Ostwind inzwischen auf einen soliden Vierer aufgefrischt und los geht die Show. Das eben noch Wasser verdrängende Boot erhebt sich in wenigen Sekunden auf die Foils, sobald eine Bö einfällt und beschleunigt wie ein frisierter 11er.

Also Hebel auf den Tisch und hinterher. Mit 25kn plus jagen wir über und durch die von den vielen Zuschauerbooten aufgewühlte Chaos-See. Das Boot springt, beschleunigt und bremst wie ein….ja, wie ein IMOCA in den 50er Breitengraden bei Sturm. Das hält man keine 10 Minuten durch; dann hat man überall blaue Flecken und gestauchte Bandscheiben. Was finden nur so viele Menschen am Motorbootfahren!?

Für uns ist es Mittel zum Zweck, wir wollen Eindrücke, wollen Fotos, wollen IMOCA-Feeling. Und nun kommt, was wir nicht erwartet hatten: „11th Hour“ wird irgendwie wieder kleiner; auch mit 225 PS und viel Mut kommt man mit diesen Booten einfach nicht mit!

Wir drehen also ab und konzentrieren uns auf „Holcim“. Sie wird von deutlich weniger Booten begleitet und wir nähern uns nun dem Ostufer und haben weniger Welle. Und dann ist es soweit: „Holcim“ hebt ab und foiled direkt neben uns her. Ein unglaublicher Anblick! Und ja, tatsächlich kann ich kurz unter dem Rumpf hindurchschauen und ein Begleitboot ausmachen, dass auf der anderen Seite fährt. Mission accomplished, wir können zurück nach Strande.

Machen wir natürlich nicht! Zu schön das Wetter, zu gigantisch die Kulisse, um sich das entgehen zu lassen. Das ganze Westufer ist voller Menschen, hunderte von Booten fahren umher oder liegen vor Anker und jubeln den Segler/innen zu. Sicherungsboote patroullieren an beiden Ufern und halten die Zuschauerboote auf Distanz. Der Raddampfer hat 15° Lage, weil alle auf einer Seite stehen.

Die Wendemarke liegt direkt vor den HDW-Docks in der Landabdeckung, was die Passage für die wenig wendigen IMOCAS zu einer Herausforderung macht. „Holcim“ bleibt dabei minutenlang ohne Wind stehen und verliert wertvollen Boden auf die führenden Amerikaner; dies ist ja keine Zielankunft, sonder ein „FlyBy“ – die stehen alle unter enormem Druck!

Man könnte noch viel erzählen von diesem Rennen und einem weiteren, denkwürdigen Tag – nach Aarhus diesmal in Kiel: Vom superschnellen Ersatz des gebrochenen Mastes von „Guyot“ bei Knierim über den Frühstart und die tolle Aufholjagd von Boris bis hin zu der noch nicht geklärten und mindestens unerfreulichen „Causa Escoffier“ – aber das würde jetzt und hier wohl zu weit führen.

Erwähnt sei noch, dass auch die 6. Etappe (Aarhus – Kiel – den Haag) wieder mit deutlichem Vorsprung von „11th hour“ gewonnen wurde, dass „Holcim“ wieder zweiter wurde und dass der Vorsprung auf die erneut drittplatzierte „Malizia“ im Ziel vor denHaag diesmal nur ganze 90 Sekunden betrug. Damit ist für Boris und seine Crew der Gesamtsieg nicht mehr erreichbar (letzte Etappe denHaag-Genua mit einfacher Wertung), was schade ist.

Aber er wird es verschmerzen und kann sich nun erstmal ganz entspannt zurücklehnen und in Ruhe mit der Vorbereitung auf seine Teilnahme am „Vendée Globe 2024“ beginnen. Sein Boot ist speedmässig „bei der Musik“ und die gewonnenen Erkenntnisse dürften seine Rolle als Mit-Favorit weiter untermauern.

Text und Bilder: Andreas Borrink