The Ocean Race

Der HSV muss in die Relegation, Dortmund vergeigt die Meisterschaft, die Eishockey-Cracks verlieren ein dramatisches WM-Finale auf Augenhöhe und uns reisst beim ersten Känguruh-Einsatz des Jahres letzten Mittwoch gleich am Start das Fockfall – sportlich eine eher gebrauchte Woche.

Da müssen Helden her und wer wäre da geeigneter als der Franz Beckenbauer des Segelsports – unser aller Boris Herrmann. Stets ruhig, freundlich, rücksichtsvoll, wort- und mediensicher, sympathisch und – nicht zu vergessen – überaus kompetent in Sachen Segeln. Der schnellste Offshore-Einrumpfsegler der Welt wird man nicht mal eben so.

Also Klapprad, Fernglas und Kamera in den Camper gepackt und Pfingstsonntag abends auf die A7 nach Aarhus, denn da endet in den frühen Morgenstunden des Pfingstmontags die fünfte Etappe des „The Ocean Race“ der IMOCAS. Ein Stellplatz in T4-Größe direkt am Hafen ist noch frei; nun erst nochmal eine Mütze voll Schlaf.

Um 04:00 piept der Wecker, draussen ist es noch finster und richtig kalt und windig. Von nebenan kommt Protest wegen der lauten Schiebetür; alles Camper hier, keine Segler. Aber nützt ja nichts, denn der Tracker meldet die führende „11th Hour“ Racing Team 5 Meilen vor dem Finish! Mann, sind diese Boote schnell; das reicht nicht mehr für die Fahrradstrecke zum Aussichtspunkt mit Blick auf die Ziellinie. Also rüber zur Pier vor dem Race Village und erstmal einen wunderbaren Sonnenaufgang geniessen. Aus dem Gegenlicht taucht die markante Silhouette einer IMOCA auf: turmhoher Mast, superbreiter und flacher Rumpf mit den hochgestellten, elegant geschwungenen Foils an beiden Seiten….kein Zweifel, das ist „11th Hour,“ die Siegerin der fünften Etappe!

Ganze 7 Tage hat sie gebraucht von Newport R.I. bis Aarhus und dabei mehrfach Etmale von über 600 Seemeilen hingelegt. Ein verdienter Sieg Dank konstanten Speeds und eines super Wetterrouting – auch wenn es für den absoluten 24h-Rekord nicht ganz gereicht hat. Den hatte seit Jahren und bis letzten Mittwoch der 100‘ Super-Maxi „Comanche“ mit 618 sm.

Nun haben ihn Boris Herrmann und seine Crew mit ihrer „Malizia“! Sagenhafte 641,13 Meilen in 24 Stunden – das ist ein Schnitt von fast 27 kn oder nahezu 50 km/h……..mit einem SEGELBOOT! Im Interview bei der Siegerehrung erklärte ein sichtlich glücklicher Boris mit seiner Tochter auf den Schultern: „Dieser Rekord wird wohl sehr lange bestehen! Die Bedingungen waren einfach ideal: Tagelang achterlicher Wind, kaum Welle und 5 Frau/Mann Besatzung, die alles gegeben hat. So bald wird es das wohl nicht wieder geben!“

In der Teamwertung hat es leider nicht ganz so gut geklappt. Kurz vor Skagen lag „Malizia“ noch an dritter Stelle in hoffnungsvoller Schlagdistanz zu den beiden führenden „11th Hour“ und „Holcim PRB“, musste sich dann aber beiden Konkurrenten doch geschlagen geben. Dabei wurde es zur zweitplatzierten „Holcim“ (dem „Zementboot“…..) kurz vor Aarhus nochmal richtig knapp, als „Malizia“ bis auf 0,5 Meilen herangekommen war. Aber bei der Interpretation von Strom und Wind in Landnähe (lustiges Rätselraten ähnlich der Alster…) bewiesen die Schweizer am Ende einen Tick mehr Geschick. Der Vorsprung im Ziel betrug gerade mal knapp 6 Minuten – nach 3500 Meilen!

Überlegener und verdienter Etappensieger mit viereinhalb Stunden Vorsprung nach tagelanger Führung wurde das US-Team von „11th Hour“ mit Skipper Charlie (Enright), der sich für diese Etappe als Co-Skipper und Alter Ego noch einen Charlie (Dalin) geschnappt hatte. Der gilt als bester IMOCA-Skipper der Welt und bewegt mit seiner „Apivia“ ein Schwesterschiff der „11th Hour“ – wenn also einer weiß, wie so ein Schiff tickt, dann der!

Etwas enttäuschend fand ich die Kulisse auf dem Wasser und an der Pier – da hatte ich von den segel-affinen Dänen mehr erwartet. Was sich zu solchen Anlässen in Lorient oder Les Sables abspielt, ist von einem anderen Stern. Aber die Champagner-Duschen der siegreichen Crews haben es rausgerissen – großartige Stimmung wie bei der Formel 1!

Abschliessend sei eine Frage erlaubt, die auch unter den anwesenden Segelfans kontrovers diskutiert wurde: „Ist das eigentlich noch Segeln?“

Klar – Fortbewegung durch Nutzung des Windes, soweit passt es. Und die Crews leisten großes, kein Zweifel. Allerdings erscheinen sie nur zum Segelwechsel an Deck und zum Drohne einfangen. Die meiste Zeit verbringen sie – in den zahlreichen Videos gut zu sehen – unter Deck im Freizeit-Dress. Sie drehen am Grinder, ziehen an den gefühlt hunderten von Leinen, sitzen vor dem Rechner im Comfy-Sitzsack und schauen dem Autopiloten beim Steuern zu. Die Pinne ergreifen sie nur, wenn Wasser in den Zentralrechner läuft oder vielleicht noch in Gewässern mit viel Verkehr. Dabei werden sie heftigst hin – und her geschleudert und gelegentlich bricht sich einer eine Rippe oder bekommt eine Gehirnerschütterung. Muss man mögen.

Unglaublich ist das Potential der Boote und vor allem die Performance der Elektronik. Alle teilnehmenden IMOCAS sind auf der ersten Etappe noch eher unbeholfen über die Wellen gehoppelt und haben einen „Stecker“ nach dem anderen gefahren. Mit zunehmender Datenmenge und „Erfahrung“ des Autopiloten (ist das eigentlich KI??) ist die „Fluglage“ dann immer stabiler und der Speed immer größer geworden. Segeln 4.0! Klug von Boris, am TOR teilzunehmen – seine im Hafen gebliebenen Konkurrenten beim nächsten Vendee Globe (40+ an der Zahl!) haben nun einen Erfahrungsrückstand, der schwer aufzuholen sein dürfte.

Trotz alledem: Chapeau Boris, Will, Rosalin & Co – das habt Ihr toll gemacht und die in Aarhus gewonnenen Eindrücke sind bleibend. Viel Glück für den Rest des Rennens!

Zu guter letzt noch ein Wort zur allenthalben ganz vorneweg propagierten Nachhaltigkeit dieses Rennens:

Oder!?….Nein…..lieber doch nicht!

Text und Fotos: Andreas Borrink