Es ist Donnerstag, ein typischer Hamburger Herbstabend – dunkel, kühl, nass und das Laub liegt auf den Straßen. Wir beladen das Auto für unser Abenteuer der Saison: 1900 km mit der J/22 nach Italien zur Weltmeisterschaft – one way. Es klingen noch Hannes
Worte in den Ohren: „Süditalien im Herbst: 20°C Wassertemperatur, Sonne und gutes Essen! Da sollten wir hin.
“Die Vorstellung überzeugte uns und nun sitzen wir gemeinsam in Thorstens Camper und biegen auf die Autobahn Richtung Süden ab. Das Navi sagt: „Noch 22 Stunden.“ Wobei hier gilt vielmehr, der Weg ist das Ziel.

Ich schreibe Andi eine kurze Nachricht: „J-Bender rollt. “ Er antwortet mit dem Raketen-Emoji.

Neben uns, Thorsten, Hannes und Flo (J-Bender, GER 1449), macht sich am nächstens Morgen auch noch die JOLA (GER 1411) auf den Weg von Hamburg nach Süditalien. Silke, Harald und Andi haben sich auch für dieses Abenteuer entschieden. Und auch im Südwesten Deutschlands aus Mannheim begibt sich die Crew um Dirk, Jochen und Horst (Zwoelfdrejzehn, GER 1213) auf die lange Reise.

Die Fahrt vergeht, irgendwie. Am Freitagnachmittag erblicken wir die erste J/22 – ein niederländisches Studententeam – sie stehen auf dem Rastplatz sehr versteckt und wir sind bereits auf dem Beschleunigungsstreifen. Im Nachgang erfahren wir, dass ihr Trailer einen Reifenschaden hatte. Glücklicherweise erhielten sie sofort Unterstützung von einer lokalen Werkstatt und können ihre Reise fortsetzen.

Kurz vor Neapel rauscht dann eine weitere J/22 an uns vorbei, französisches Kennzeichen, dass müssen die Jungs aus Nantes sein. Hoffentlich wird es auf dem Wasser anders sein, denke ich.

Wir erreichen Neapel am Freitagabend, mittlerweile sind knapp 25 Stunden vergangen. Jeder, der den Feierabendverkehr in einer Großstadtmetropole kennt, denkt sich wahrscheinlich jetzt schon – Du meine Güte. Und so wird es auch – Roller schießen von
allen Seiten, Autos hupen, Verkehrsregeln – ja gibt es auch irgendwie. Das wichtigste Credo für diesen Moment – ruhige Nerven und niemals die breiten Straßen verlassen.Thorsten navigiert uns sicher zum Lega Navale di Napoli, dem ausrichtenden Segelclub. Wir werden vom Nachtwächter bereits empfangen, dass Boot wird schnell abgestellt und wir dürfen einen Stellplatz direkt am Club beziehen. Beim „Anlegergetränk“ wundern wir uns noch, wo die Franzosen abgeblieben sind. Die Drei hatten es kurzerhand zu lokaler Berühmtheit gebracht. Ihrem Navi war nicht bewusst, dass es ein Anhängergespann ist und kein Motorroller – in der Altstadt Neapels prägen noch die engen Straßen der griechischen Antike das Stadtbild. Dort ist kaum Platz, um mit einem normalen PKW durchzufahren, geschweige denn einem Auto mit Anhänger. Und so manövrieren sie sich in eine aussichtlose Lage und Fotos von dem Gespann machten die Runde in den neapolitanischen sozialen Medien. Glücklicherweise kommen ihnen sofort die Bewohner Neapels zur Hilfe und sie schaffen es sicher bis zum Segelclub. Am nächsten Morgen weckt uns die Sonne. Auf den Stegen des Lega ist bereits ein reges Treiben. Direkt vor dem Club liegen, wie an einer Perlenkette, ein Dutzend J/22. Wir bereiten alles zum Kranen vor und sind schnell im Wasser und segeln das erste Mal in den Golfo di Napoli. Der Vesuv wirkt majestätisch auf uns und die Stadt schaut auf die Bucht, als wäre sie ein Fußballstadion. Hier werden wir also Segeln – eine einmalige und beeindruckende Kulisse.

Doch nicht nur die Kulisse ist beeindruckend, auch die Organisation vom Lega Navale di Napoli ist es. Keine Spur von süditalienischer Gelassenheit, jeder hat eine Aufgabe und kümmert sich mit Elan und Eifer um diese. Und wenn etwas mal nicht so kommt wie geplant, kein Problem, denn man ist auch sehr flexibel und dabei noch außerordentlich freudig. Wirklich beeindruckend!

Wir kommen schnell mit den Seglerinnen und Seglern vom Lega ins Gespräch und tauschen uns über alles rund ums Segeln aus. Man spürt förmlich, wie neugierig und voller Erwartung alle sind, denn es ist schließlich nicht eine lokale Regatta – hier findet eine Weltmeisterschaft statt.

Am Sonntag finden dann die offiziellen Practice Races statt. Mittlerweile sind auch alle Crews sicher in Neapel angekommen und wir segeln fast mit der gesamten Flotte Richtung Regattakurs. Die Sonne scheint und so erwartet die Wettfahrtleitung ein lokales Wetterphänomen – eine Seebrise. Erst als diese sich vollständig entwickelt hat, wird gestartet. Alle Teams sammeln wertvolle Erfahrungen und nach insgesamt drei kürzeren Rennen geht es zurück in den Hafen. Dabei ist der Anblick der Flotte unter Spi einmalig – gut, dass wir hier sind.

Die Opening Ceremony am Nachmittag wird zu einem geselligen Event, doch man merkt auch die Anspannung auf den Stegen. Jetzt geht es los!

Am Montag ist es dann so weit, der erste Wettfahrttag lockt mit Sonne. Eincremen also nicht vergessen und das im Oktober! Und es verläuft wie erwartet: Nach drei Wettfahren ist Fraporita – die Weltmeistercrew von 2019 und 2023 – ganz vorne und danach wird es
enger im Feld. Die drei deutschen Teams schlagen sich passabel und landen in den Top 10. Ganz zufrieden sind wir jedoch nicht, denn bereits das erste Rennen zeigte – da geht etwas. Also ab in den Hafen zur Nachbesprechung – denken wir – und machen die
Rechnung aber ohne die Gastgeber. Am Segelclub erwartet uns bereits ein motiviertes Team aus freiwilligen Helfern. Es wird Pasta und Wein gereicht und die Nachbesprechung wird kurzerhand eine Gruppendiskussion zwischen allen Seglern – Die J/22 ist wirklich eine wundervolle Klasse.

Am zweiten Wettfahrttag zeigt sich ein ähnliches Wetterbild zum Vortag – die lokale Seebrise. Mit den Erfahrungen von nunmehr zwei Segeltagen ist klar, es gibt hier nur einen Siegerkurs und der geht über rechts. JOLA macht es vor und gewinnt dank einer grandiosen Positionierung und mit der richtigen Taktik die erste Wettfahrt des Tages. Das Mixed-Team aus Frankreich, Portugal und Italien auf NED 1273 kann man also doch schlagen – und so verläuft die zweite Wettfahrt für uns unter dem Motto: „Der Tag an dem wir das erste Mal den Weltmeister geschlagen haben“.

Insgesamt verläuft der zweite Wettfahrttag für die Teams vom HSC sehr positiv, seglerische Konstanz und die zwei Wettfahrtsiege lassen uns in der Gesamttabelle auf die Plätze 4 und 5 vorrücken. Dabei trumpft besonders das Team JOLA stark auf, als sie
in der dritten Tageswettfahrt auch noch den 2.Platz belegen. So kann es weitergehen – wünschen wir uns bei der Anleger-Pasta. Für Mittwoch ist von den Organisatoren ein Ruhetag geplant. Aufgrund einer unsicheren Wettersituation bittet die Wettfahrtleitung jedoch alle Segler, um die Chance zu wahren auch wirklich zwölf Wettfahrten segeln zu können, auch am Mittwoch auf die Regattabahn zu fahren. Touristische Pläne werden verworfen, wir sind ja schließlich zum Segeln hier.

Der Mittwoch begrüßt uns mit Regen – wirklich? An Wind ist auch erstmal nicht zu denken, so wird AP an Land gesetzt und es heißt warten. Jeder geht mit dieser Situation anders um, es wird Karten gespielt, Tischtennis gezockt oder Erfahrungen und
Erlebnisse ausgetauscht. Dann frischt der Wind zum späten Mittag auf, eine Unruhe macht sich im Hafen breit. Schließlich wird AP eingeholt und wir dürfen raussegeln. Bis zur Hafeneinfahrt schaffen wir es gerade, da kommt uns Francesco bereits mit dem
Schlauchboot entgegen und ruft „No races today, wind is gone“.

Umso mehr Zeit bleibt nun, sich für die Crew Party vorzubereiten. Und der Abend wird ein voller Erfolg – italienische Gastfreundschaft, gutes Essen und großartige Musik machen den Abend zu einem wundervollen Erlebnis! Glücklich und voller Emotionen fallen wir ins Bett.

Am Donnerstag zeigt sich dann Neapel wettertechnisch von einer anderen Seite – der Zyklon im südlichen Mittelmeer schickt Regen und Wind, viel Wind. In Ölzeug geht es auf die Regattabahn. Diesmal liegt der Kurs anders, die Taktik der ersten Wettfahrttage ist
damit hinfällig. Für uns ist klar, die Starts müssen sitzen, um vorne dabei zu sein. Die lokalen Crews, welche fast ausschließlich zu viert an Bord segeln, kennen jedoch diese Bedingungen und so wird um jede Lücke am Start gekämpft. Wir verpassen eine gute
Positionierung und kommen in der ersten Wettfahrt schlecht weg – wir sind unkonzentriert und die Bedingungen fordern uns – wir machen Fehler. Glücklicherweise finden wir unseren Rhythmus in der zweiten Kreuz und retten noch eine passable Platzierung ins Ziel. In der zweiten Wettfahrt machen wir es besser und liefern uns ein packendes Duell mit JOLA bis ins Ziel – diese Runde ging an uns. Bei Silke, Harald und Andi ist mittlerweile jedoch der Knoten gänzlich geplatzt – sie segeln JOLA konstant schnell und treffen die richtigen taktischen Entscheidungen. Das zeigt auch ihre Serie mit 4 – 3 – 3 an diesem Starkwindtag. Ihre starke Leistung zeigt sich auch in der Tabelle mit dem zweiten Gesamtplatz vor dem letzten Wettfahrttag.

Der Freitag wird dadurch zum nervenaufreibenden Showdown. Die Abstände zwischen dem zweiten und siebten Platz sind eng. Ein weiterer Streicher nach der 10. Wettfahrt würde das Ergebnis nochmal stark verändern. Mit höchster Konzentration gehen wir also an den Start, welcher auch noch um eine halbe Stunde nach vorne verlegt wurde. Der Wind ist an diesem Freitag eher schwach und pendelnd. Die Wettfahrleitung auf der Regattabahn zeigt ihr professionellen Fähigkeiten, um faire Rennen zu ermöglichen, erneut an diesem Tag. Über den Funk hören wir die Kommunikation zwischen Startschiff und Francesco im Schlauchboot an der Luvtonne. Windrichtung und -geschwindigkeit werden in kurzen Abständen ausgetauscht, unser italienisches Gehör ist mittlerweile so geschult, dass wir aufmerksam mithören.

Nach einer gefühlten Ewigkeit scheint dann endlich eine konstante Brise den Vesuv herunterzuwehen. Wir starten, werden abgedeckt, müssen rauswenden – Mist! Dranbleiben und kämpfen, die drehenden Winde kennen wir doch von zu Hause. Diese
Kreuz wird zum Nervenkitzel, bei der Annäherung an die Luvtonne zeigt sich – ganz so schlecht war es dann doch nicht. JOLA geht mir großem Abstand als erstes Boot um die Tonne, dahinter die Mannheimer Jungs um Dirk, Jochen und Horst und wir – liegen an
dritter Position dicht gefolgt vom italienischen Lokalmatador Ezio und seine Crew, unserem direkten Verfolger in der Gesamtwertung. Der Downwind wird zum Krimi – in doppelter Hinsicht. Ezio und sein Team greifen immer wieder an, wir halten sie gekonnt auf Abstand. Dann dreht der Wind und nimmt ab, die andere Kursseite ist nun klar bevorteilt – wir sind auf der falschen Seite. Bei stark abnehmendem Wind versuchen wir zum Lee-Gate zu kommen. Die Hupe von Francesco zum Wettfahrtabbruch erlöst uns
aus der Situation. Dann heißt es warten. Warten auf den Wind, warten das die Zeit vergeht, denn heute wird nur bis 15 Uhr gesegelt. Das sind zwei lange Stunden. Immer wieder frischt der Wind auf, doch so richtig durchsetzen möchte sich die Seebrise an diesem Tag nicht. Nun heißt es die Konzentration hochzuhalten. Gemeinsam mit JOLA nutzen wir jede aufkommende Brise um erneut den Trimm zu prüfen und uns einzusegeln. Die Anspannung ist hoch.

Nach einer gefühlten Ewigkeit folgt dem Bangen dann die Erlösung – die Wettfahrleitung beendet um kurz vor 15 Uhr die Regatta. Ein Jubelschrei weht über den Golf von Neapel – auch von den Weltmeistern, aber vor allem von Silke, Harald und Andi, so groß ist die Freude über den Vizeweltmeistertitel.

Die Siegerehrung wird dann noch einmal zu einem emotionalen Höhepunkt – die Seglergemeinschaft der J/22 feiert nicht nur ihre Sieger, sondern auch die einzigartige Gemeinschaft, welche sich in dieser Woche entwickelt hat. Wir haben in dieser Woche
viele wunderbare Menschen getroffen, eine unglaubliche Leidenschaft für den Sport gespürt, neue Freundschaften geschlossen und nicht zuletzt eine unübertroffene Gastfreundschaft im Lega Navale di Napoli erfahren. Mit all diesen Eindrücken kehren
wir zurück nach Deutschland und es lässt sich abschließend festhalten – Süditalien im Herbst: 20°C Wassertemperatur, Sonnenschein, großartiges Essen und wundervolle Menschen! Da muss man hin!

Wir bedanken uns für diese einzigartige Erfahrung und an alle Mitglieder des Lega di Navale Napoli, welche durch ihren Spirit und ihre Leidenschaft diese Weltmeisterschaft so einzigartig gemacht haben – wir kommen wieder, Freunde!

JOLA (GER 1411) – Silke, Harald und Andi / Vizeweltmeister

Zwoeldrejzehn (GER 1213) – Dirk, Jochen und Horst / 10.Gesamtplatz

J-Bender (GER 1449) – Thorsten, Hannes und Florian / Gewinner der Bronzemedaille

Bericht: Florian Buchs
Bilder: Andreas Dillmann & Event Fotograf

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