Oder: Eine grenzwertige Starkwind Probefahrt mit einem Neubau über 350 Seemeilen
Skipper: Daniel Baum, Crew: Jan Brügge, Malte Lange, Petrus Baumgartner, Nils Bordasch, Hannes Pagel, Jan Krüger, Peer Heuer, Nils Glockow, Clemens Gehrholz, Jörgi Heinritz
Sinn der Übung: Qualifikation fürs Rolex Fastnet Race 2023
Die Verzögerung, die zu unserem verspäteten Start der Elida beim H.O.T.
führen sollte, fand an der Bratwurstbude statt. Die Crew zog sich nach der Steuermannsbesprechung am Pfingstmontag um 15.00 Uhr grad noch genüsslich die Currywurst mit Pommes rein, als die Anweisung vom Skipper kam, noch Frischwasser auf der gegenüberliegenden Seite des Helgoländer Hafens vor den Startvorbereitungen zu nehmen. Oha, sportliche Nummer!
16.30 Starting Time.
Trysegel und Sturmfock müssen noch der Wettfahrtleitung vorgeführt werden, aber alles schon vorbereitet!
Ablegen Ostseite 15.25 Uhr.
Fest auf der Westseite am Wasserbunker 15.35. Aber Mist, der Schlauchanschluss ist zu kurz. Noch mal Verholen. Erneut fest um 15.45. Sch…., wir brauchen Euro Münzen… Alles schon im Grabbag verstaut! Die Zeit verrinnt wie im Fluge. Petrus ermahnt die Crew, dass in 25 min der Startschuss sei.
Wir sind immer noch fest am Wasserbunker. Wenn der Chef jetzt nur schon wüsste, was noch mit Wasserspielen auf uns zukommt!
Ablegen!!!! Es weht mit gut 25 kn.
Als erstes verabschiedet sich an der Bb Seite am Heck die Jon Buoy, die sich unter der Hafenleiter verklemmt hat, mit einem Zischen. Ich denke, die kommt gleich wieder hoch und wir können die einfangen. Weit gefehlt. Das Ding geht einfach unter. Später erkennen wir, dass die Halterung samt Auslöser versunken ist.
Der Alte meckert über Krüger, der achtern abgehalten und den Lack gerettet hat.
Petrus ist auf dem Vorschiff und bugsiert „Elida“ an der Achterleine eines Versorger-Katamarans in Richtung freies Wasser.
Die Sturmsegel gehen hoch.
Wir müssen diese Herrn Boehlich von der Wettfahrtleitung noch vorführen. Und die ganze Crew in voller Montur mit Rettungswesten…
16.15, wir sausen durchs Safety Gate!
Die Sturm- Plünnen müssen aber wieder runter, und das Normale Grosssegel muss noch mit den Rutschern in die Nut.
Oh, Oh, Oh! 16.20Uhr.
Die Crew kämpft gegen die Zeit. Um 16.25 zum Vorbereitungssignal muss der Motor aus. In der letzten Sekunde geht das Gross hoch.
Abfallen, aus dem Vorhafen raus, und ab zur Startlinie.
Den Startschuss hören wir , als wir den Molenkopf passieren. Kurze knackige Kreuz, bloss keinen startenden Teilnehmer behindern! Mit ca. vier Minuten Verspätung gehen auch wir auf die Bahn. Da ist noch Luft nach oben…
Ab geht’s raumschots Richtung Düne S mit einem Reff im Gross und der Stagfock.
Ein wenig sackt das Adrenalin…
Geht aber nach der Rundung von Düne S schlagartig wieder hoch.
Wir hämmern am Wind Richtung Amrum dermaßen an den anderen vorbei; wie geil ist das denn!?
Rauschefahrt ist leider nicht von langer Dauer. Das vordere Kompartment, das den Pivoting Bowsprit beherbergt, ist nach Welle Nummer 30 voll. Da ist jetzt vorn ’ne Tonne Wasser drin.
Es kommt schneller Wasser in die Box, als es unten am (wahrscheinlich zu kleinen) Abfluss abgeleitet wird. Die Yacht gleitet nicht mehr über die ca. 1,5m hohen Wellen, sie sticht einfach durch! Wat nu?
Lösungsversuch: Die Crew stopft Fender in den Ankerkasten, um möglichst viel Wasser aus dem Schapp zu verdrängen. Naja, bringt nicht viel aber doch ein wenig. Der Verschluss des Ankerkastens muss jetzt ’ne Menge aushalten.
Leider ist das Volllaufen des Ankerkastens nicht der letzte Wassereinbruch, der bekämpft werden muss.
Unter Deck hört man die Fender im Ankerkasten deutlich rumrumoren, aber unter Deck sieht man auch schon eine Menge Wasser hin- und herschwappen. Wo kommt das denn jetzt wieder her?
Eine armdicker Strahl Seewasser ergiesst sich bei jedem Durchpflügen der Wellen durch das high Tech Schiebeluk auf dem Vordeck. Die Abdichtung soll eigentlich durch eine elektrische Luftpumpe erfolgen, die eine Dichtung aufpustet. Die Pumpe pustet zwar dauerhaft, aber bei jeder Welle kommen trotzdem ca. fünf bis zehn Liter Wasser unter Deck. Clemens, unser Berufs- Rettungsmann, ist in seinem Element. Wir haben eine zentrale elektrische Lenzpumpe unter Deck. Mit langen Lenzschläuchen kommt man in fast jeden Winkel der Yacht. Mit zwei Leuten unter Deck wird versucht, Herr der Lage zu werden.
Wir kommen kaum gegenan mit der Lenzerei. Da muss was Gravierendes geändert werden. Glücklicherweise haben wir zwei der Bootsbauer der Yacht an Bord. Nils B., der Bordmechaniker der Werft, kalfatert die Lukendichtung einfach mit ein paar Geschirrhandtüchern. Jetzt nur noch ein Liter Wasser pro Welle. Hilft!
Langsam lenzen wir die Yacht leer, aber was danach auch leer ist, das sind die Batterien! Und wir haben erst knapp 20 Seemeilen hinter uns! Und nur noch knapp 25 % Batteriekapazität! Mit der Luftpumpe und dem elektrischen Lenzvorgang sind die Akkus überfordert. Also Luftpumpe aus und Lenzen ab nun nur noch von Hand! Alle weiteren unnötigen Stromverbraucher wie Kühlschrank, Navigeräte und Beleuchtung unter Deck werden abgeschaltet. Der Blindflug beginnt! Glücklicherweise haben wir die mit ähnlicher Geschwindigkeit segelnde „HASPA Hamburg“ zu unserer Orientierung in unserer Nähe. Unsere einzigen verlässlichen Navigeräte sind die zwei iPads mit Navionics drauf. Aber auch die müssen von Zeit zu Zeit Strom haben.
Wir beschließen, mit dem Laden der Batterien durch den Motor bis nach der Wendemarke
Amrumbank S zu warten, nach der uns ein langes Bein von 100 sm Richtung 300° bevorsteht.
Nach der Rundung der Tonne kehrt so etwas wie Routine ein. Langsam dämmert der Abend, der Wind weht unvermindert zwischen 25 – 28 kn aus NW, die „Elida“ boxt sich Richtung Westen durch die Seen. Noch schnell mal eben den Tagestank vollpumpen, Auspuff öffnen, das Boot möglichst aufrecht segeln, damit der Kühlwasseransaugstutzen keine Luft zieht. Dann kann der Motor gestartet werden.
Mit beruhigendem Sound springt die Maschine an; 1500 rpm klingen gut, das Ladegerät beginnt seine Arbeit, und sofort steigt, zwar sehr langsam, die Batteriekapazität und die Stimmung der Crew. Alle Anzeigen für den Motor werden von Zeit zu Zeit überprüft. Maschine läuft schnurrend. Geht doch!
Bis circa nach 20 Minuten ein rotes Lämpchen an der Motorkonsole aufleuchtet und ein schrilles Alarmsignal die relativ schöne Ruhe im Bordleben stört. Bevor jemand den Motor ausschalten kann, heult dieser einmal 15 Sekunden unter voller Drehzahl auf und ist dann still!
Nix mehr. Abgeraucht!
Jan B., Nils B. und Malte sowie Clemens verschwinden unter Deck und bauen die Motorverkleidung ab,
Scheisse…, Motor wahrscheinlich überhitzt!
Jan K. kotzt grade mal wieder in starken Krämpfen achtern über die Kante. Ich hab grad vor zehn Minuten von Daniel den Lenker übernommen und kann mir das Schauspiel aus sicherer Entfernung ansehen. Inzwischen ist es auch schon richtig dunkel.
Mulmig wird auch mir, als die vier wie die Erdmännchen im panisch aufgerissenem Luk erscheinen und nach Luft ringen. Dichter Qualm strömt an den Erdmännchen vorbei ins Freie. Die orange Hintergrundbeleuchtung unter Deck lässt auch nix Gutes erahnen. Der Gestank ist auch nicht von Pappe. Ist da etwa einer unserer Notrauchtöpfe hochgegangen? Man hört Rufe nach den Feuerlöschern. Die zum Glück letztlich doch nicht benötigt werden. Aber warm ist es wohl doch da unten in der Hütte! Die Qualmentwicklung ist noch nicht zum Stillstand gekommen!
Ich bin kurz vor einem Lachanfall, ein groteskes Bild, diese Erdmännchen im Inferno.
Nach gefühlter Ewigkeit läßt die Qualmentwicklung endlich nach. Die Ursachenforschung beginnt.
Hatten wir zu viel Lage im Boot? Ist eindeutig ein Kühlungsproblem, was wir da haben. Als erstes ist somit die Kühlwasserpumpe unter Verdacht.
Nach eifriger Recherche stellt sich heraus: Der Kühlwasseransaugschlauch hat ein Leck durch Hitzeeinwirkung am Motorblock erhalten. Maschine überhitzt und alle Dichtungen abgeraucht. Daher der Qualm.
Wir kommen in die Mac Gyver- Phase des Rennens.
Die Bordtechniker Jan B. Und Nils B. arbeiten gedanklich und praktisch fieberhaft an der Lösung des Problems. Insgesamt sollen die beiden tatsächlich 12 Stunden ohne Pause an der Notreparatur verbringen. Aufgeben ist überhaupt keine Option für die Werftjungs. Stellt Euch mal die Negativ- Schlagzeilen vor…, nicht auszudenken!
Zuerst bastelt Nils B. eine neue Dichtung für die Verbindung zwischen Kühlwasserpumpe und Motorblock. Dann wird ein Wasseranschluss zum Kombüsenablaufventil geschaffen. Ein Startversuch mit Kurzschließen (Die Kabel zum Zündschloss sind auch verschmort) ca. drei Stunden nach dem Vorfall lässt die Maschine zwar starten, und sie läuft auch eine Minute, aber die Wasseransaugleistung ist zu schwach, um genügend Kühlwasser in den Motorkreislauf zu befördern. Also aus, das Ding.
Was Neues muss erfunden werden. Petrus hat die Idee, die Handlenzpumpe achtern unter Deck in der Funktion umzukehren, und mit ihr die Zufuhr von Wasser in die Kühlwasserpumpe mit Druck zu ermöglichen.
Brilliant! Aber das Umbauen wird dauern.
Man muss es gesehen haben. Die Jungs arbeiten bei totaler Finsternis unter Deck nur mit ihren Stirnlampen auf der Rübe. Nix für schwache Mägen. Es stinkt nach Diesel und Werweisswasnoch.
Schlafen kann keiner, alle sind froh, oben Luft zu kriegen. Unter Deck herrscht das Chaos. Alle Kojen sind mit Motorverkleidungsteilen belegt. Daniel meint, die seien alle verrückt und fällt rückwärts auf ein Segel und schläft doch tatsächlich sofort ein! Es weht immer noch mit beständigen 25 kn.
Gegen Mittag nach 13 Stunden Kreuz runden wir Bahnmarke Nummer 3 Regnar mitten auf der Nordsee. Kein Segel weit und breit zu sehen! Die imaginäre Tonne wird navigatorisch gerundet. Die ist nämlich nicht da. Tüte hoch und ab in Richtung 165° KPK mit 12-16 kn Speed. Wie versprochen lässt der Wind gegen Nachmittag ein wenig nach.
Zeit für Motorstart Nummer zwei.
Alle auf Position! Fünf Männer werden für das Manöver Motorstart benötigt. Einer muss unter Deck den Motor kurzschliessen und den Wasserzulauf überwachen. Eine Person bedient den
Gashebel, ein weiterer hält den Bootshaken mit angetapten Ansaugschlauch nach aussen über Bord, einer öffnet den Auspuff, und der Letzte in der Reihe pumpt wie bescheuert die umfunktionierte Handlenzpumpe. Oh Wunder , das System funktioniert tatsächlich, wenn natürlich auch nur provisorisch! Welch eine Choreografie. Der Motor läuft und produziert Batterieladung. Hammer.
Aber nix für die Dauer. Wir schaffen es, die Batterie- Kapazität auf 45% hochzupowern.
Das reicht erstmal für die wichtigsten Verbraucher wie AIS, Notbeleuchtung und Laden der iPads.
„Peer, mach mal was zu Essen“. Kartoffelsuppe ist angesagt. Die angedachten eingeschweissten Rinderfilets sind zu anspruchsvoll für die Situation. Der Alu- Gasherd ist völlig zertrümmert und die Drehknöpfe sind alle weg. Einen findet Peer in der Bilge und versucht, Wasser zu erhitzen. Die Flamme erstickt im Keim. Also Kartoffelsuppe kalt. Schmeckt scheisse. Fliegt über Bord, statt dessen gibts Schoko. Choqueur Kaffee Sahne Mischung. Die tut gut.
Mittlerweile scheint sogar die Sonne, und wir bewegen uns bei weiter abnehmenden Winden in VMG Modus in Richtung Windpark in der Nähe von Borkum, der an Backbord gelassen werden muss. Den Windpark runden wir und den späten Abendstunden.
Der nächste Kurs ist ein am Wind Anlieger über 73 Seemeilen in ca.70° zur Amrumbank N Tonne. Eine schöne sternenklare Nacht lässt uns problemlos an allen Windparks vorbeisegeln. Die sind sogar eine gute Orientierungshilfe, weil wir immer noch im Blindflug unterwegs sind. Eine Stunde vor Amrumbank N in den frühen Morgenstunden wird’s zu allem Überfluß noch mal neblig, ca. 50 m Sicht. Posis und AIS werden wieder angestellt. Gut, dass wir ein wenig geizig mit der Batterie gewesen sind.
Plötzlich taucht schemenhaft in Lee von uns ein Touri mit Fendern aussenbords auf, der fast parallel zu uns segelt. Die dunklen Dinger aussenbords sieht man eher als den Rumpf . Leider hat der Wegerecht. Wir kommen aber gerade vor ihm längs, und der Typ bemerkt uns, wenn auch spät. Wie von der Tarantella gestochen schreckt der hoch und gestikuliert wild. Wir hören so etwas wie „Vollidioten“und „Arschhacken“ durch den Nebel heranwabern.
Wir kriegen die Tonne auf den Kopf , halsen drum herum, und hoch geht der A # 2 Gennaker.
Kaum ist der Spi oben, treffen wir wieder auf den Touri…, diesmal haben wir die Vorfahrt.
Wieder hören wir Gefluche und unschöne Worte. Der Typ hat dann doch tatsächlich seine Pantaenius Versicherung angerufen und von Gefährdung auf See geschwafelt.
Damit hat er ja die Richtigen angerufen.
Nach einer weiteren Stunde ist der Nebel verschwunden und wir segeln mit Kurs 185° die 35 Seemeilen zurück nach Helgoland. Nach 43 Stunden und 18 Minuten passieren wir die Ziellinie. First Ship home, und noch in unserer Gruppe gegen HASPA gewonnen! Qualifikation für’s Fastnet erreicht, aber am Schiff ist noch reichlich Handlungsbedarf für diese anstehende höchst anspruchsvolle Regatta.
Fazit: Anfänger machen Fehler, Könner produzieren Katastrophen!
P.S.:Unser am 22. Juli gestartetes Fastnet Race 2023 müssen wir mit defekter Latte im Grosssegel und dessen drohendem Zerfetzen nach sieben Stunden Kreuz bei 35- 40 kn Wind aus West in der Nähe von Portland Bill abbrechen.
Schade!
Bericht: © Jörgen Heinritz