Wir haben sogar unsere Segel selber genäht
Das Budget von Vereinsbooten ist typischerweise knapp, doch eine Crew die anpackt und findige Entscheidungsträger lassen sich von ihrem Weg nicht abbringen. Dies ist die Geschichte wie aus einem Haufen Winterarbeit meine erfolgreichste Saison wurde.
Eine große Idee
Exakt vor 10 Jahren hat eine neue Generation die RubiX übernommen. Wie so oft war es mein Bruder Max der den Impuls für die Gründung eines neuen Teams gab. Nach einigen erfolgreichen Jahren im Match Race und drei Saisons in der X-35 Klasse sah Max eine Chance die andere noch nicht sahen: Mit einem Auge schielte er auf die ORC-Szene und beobachtete wie „Patent“, eine X-332 Sport, Jahr für Jahr Deutscher Meister wurde, dicht gefolgt von anderen X-332s. Die scheinen schnell zu sein diese Boote und kaum zu glauben, der HSC hat selbst eine X-332 als Clubboot! Max ergriff die Chance ein neues Team auf einer X-332 zu gründen. Aber typisch Max, nicht ohne ein gut bestelltes Feld zu hinterlassen. Die vergangene Saison hatten Max und ich mit Tim Kröger auf der X-35 von Sönke Meier-Sawatzki gesegelt und Max hatte die Rolle des Taktikers inne. Diese Lücke galt es zu füllen. Nach einigem Suchen haben wir mit Jesper Bank einen angemessenen Ersatz finden können. Nun war der Weg frei ein paar gute Freunde und alte Weggefährten zusammenzutrommeln und ein neues RubiX-Team zu gründen. Ich als kleiner Bruder folgte natürlich dem Ruf von Max, auch wenn dies bedeutete vielversprechende Alternativen auszuschlagen – als Tim Kröger fragte, ob ich die Position des Großtrimmers auf seiner TP52 übernehmen wollte, habe ich Timmi schließlich gesagt, dass mein Platz an der Seite meines Bruders auf der RubiX ist.
Fragen über Fragen
Wie bei jedem Segelteam, welches wir später noch gründen würden, galt auch hier: Mit der Vorbereitung gewinnt man Meisterschaften und die Arbeit passiert im Winter. ORC ist eine Verrechnungsformel, zwar eine verdammt gute, aber auch hier gibt es Lücken die genutzt werden können: Verringern wir die Segelfläche um langsamer auf dem Papier zu werden? An welchen Stellen geben wir Segelfläche auf, um auf dem Wasser trotzdem schnell zu sein? Verringern wir das J-Maß? Segen wir den Spibaum kürzer? Vergrößern wir unsere vom Wasser benetzte Fläche? Um Antworten auf all diese Fragen zu finden, haben wir uns mit Detlef Amlong getroffen. Detlef befand sich bereits im Ruhestand war aber mit seiner Yacht Froschkönig mehrfacher ORC-Weltmeister geworden. Dabei hat er mit seiner Dehler 32 bedeutend größere Yachten berechnet geschlagen. Genau das mussten wir mit der RubiX auch. In Detlefs Wohnzimmer, geschmückt von Meisterurkunden und Pokalen, fanden wir die gesuchten Antworten.
Arbeit über Arbeit
Doch damit ging die Arbeit erst richtig los. Eine der wichtigsten Erkenntnisse: Das Unterwasserschiff muss so eben wie möglich sein. Zu doof nur, dass da gefühlte drei Lagen Antifouling drauf waren, uneben, an einigen Stellen abgeplatzt. Das muss alles runter, per Hand, bloß nicht mit dem Excenter! Der verkantet zu leicht. Zum Glück hat uns Detlef seine alten Holzbretter mitgegeben, ein Meter lang mit aufgesetzten Handgriffen, Schleifpapier drauf tackern, Metallbürste bereithalten, los geht‘s. Zum Glück verbraucht das nur Zeit und wenig Budget. Bei den Segeln sah das schon anders aus. Wir brauchen neue Segel. Schließlich hat Max neue Maße ausgerechnet, da wir ja die Segelfläche verkleinern wollten.
Um die Kosten im Rahmen zu halten, suchten wir einen Segelmacher, der uns erlaubt die Segel in seiner Werkstatt selbst zu nähen. Mit Marco Haase in Lübeck, damals BanksSails, heute OneSails, haben wir so einen Segelmacher gefunden. Unser gewünschtes Segelprofil wurde in Italien per Computer in einzelnen Bahnen designt und zugeschnitten. Diesen Schritt hätten wir wirklich nicht selbst machen können. Die nach Lübeck verschickten Bahnen allerdings haben wir selbst zusammengenäht, sowie Verstärkungen für Segellatten, Schothorn, Hals und Top.
Entstanden ist ein Großsegel und eine ~130% überlappende Genua.
Endlich erste Trainingsschläge
Endlich ging’s auf’s Wasser, die Segel testen. Geradeaus fahren üben. Um die Kurve fahren üben. Um die Kurve fahren üben mit Zeitdruck, üblicherweise Tonnenrundung genannt. Zum Glück mussten wir die Segel nicht Umschneidern, wir hatten gute Arbeit geleistet. Max am Steuer, Thorben Strube an der Genua und am Spi, Alexander Grote, Martin Freising oder Hans Christoph Burmeister im Pit, Matthias Dachs, Anna Lau oder Lennart Grambow auf dem Vorschiff. Mich selbst hat Max and die Großschot gesetzt mit der Aufgabe zusätzlich die Taktik vorzugeben. Gerade bei viel Wind mit entsprechender Arbeit an der Großschot war das leicht überfordernd – Kann die Crew auf der Kante nicht mal ausrechnen, ob wir gerade positiv oder negativ sind?! Ich war schon immer schlecht im Kopfrechnen, obwohl ich Finanzmathematik studierte.
Zeit für Tafelsilber
Die Maior vor Kiel war die erste Regatta. Wir waren verdammt schnell. So schnell, dass wir gegen alle anderen X-332s gewannen und Erster in unsere Klasse wurden. Ein unglaubliches Gefühl! Insbesondere da die Maior als Saison Auftakt ein erstes Kräftemessen darstellt und verrät, ob sich die harte Arbeit im Winter ausgezahlt hat. Den ersten Silberpokal im Kasten ging es weiter zur Nordseewoche, in deren Rahmen gleichzeitig die Deutsche Meisterschaft ORC Offshore ausgetragen wurde. Führungskompetenz bedeutet auch zu wissen, wenn man etwas nicht weiß und Maßnahmen dagegen zu ergreifen. So war die Aussage von Max zur Nordseewoche: „Ich gehe nicht auf die Elbe ohne Johannes Bahnsen.“ Johannes der Elb-Fuchs, der die Strömungen um Helgoland genau kennt. In einem Leichtwind-Drama vor Helgoland waren es dann eben diese Strömungen, die der RubiX zum Deutschen Meister ORC Offshore 2012 verhalfen.
Leider gibt es nur sechs Plätze an Bord, daher habe ich für Johannes Platz gemacht und die Gelegenheit genutzt ein paar Trainingsstunden in Taktik von Jesper Bank auf der X-35 zu nehmen. Dadurch habe ich auch die Meisterfeier auf Helgoland verpasst, die so legendär gut war, dass die Crew das am nächsten Tag folgende Rund Skagen Rennen abbrechen musste. Indifferent, ob man noch vom Alkohol oder schon von Seekrankheit geplagt war, nahm die Rubix die Abkürzung durch den Nord-Ostsee-Kanal und war damit „First Ship Home“ in Kiel.
Kieler Woche
Zurück in Kiel stand die Kieler Woche mit der Deutschen Meisterschaft ORC Inshore an. Diesmal war ich wieder mit an Bord und bereit die Taktik-Stunden von Jesper Bank in die Tat umzusetzen. Kiel – seit einigen Jahren mein Heimatrevier, schon oft mit dem Peilkompass ausgemessen und vertraut mit den lokalen Wetterphänomenen. Auftakt Welcome Race. Wie jedes Jahr eine Mittelstrecke von Kiel nach Eckernförde und am nächsten Tag zurück. Es gab viel Wind, sehr viel Wind. Unsere X-332 erinnerte so manchen an einen Flying Dutchman: Der Mast wie ein Flitzebogen krumm und trotz Überdruck Bedingungen die große überlappende Genua. Wir waren schnell wie Rakete. Das Welcome Race gewonnen, ging es an die Up & Down Wettfahrten. Enge und hitzige Rennen gegen die anderen Boote aus ORC Klasse III und insbesondere gegen die anderen X-332s – Patent, Sportsfreund, Varuna Express, Blond. Harte Arbeit für Crew und Boot – und wieder dieses blöde Kopfrechnen: Peilkompass raus, Startlinie ausmessen, Windrichtung ausmessen, links 7 Grad bevorteilt! Hoffentlich merkt keiner, dass ich meinen Taschenrechner in die Ölzeug-Tasche geschmuggelt habe. Die Rennen waren so eng, dass wir selbst nach der letzten Up & Down Wettfahrt auf dem Rückweg vom Wettfahrtgebiet Stollergrund Richtung Hafen nicht wussten, wer in der Gesamtwertung vorne lag. Über Funk wurde durchgesagt, dass sich die Gewinner aus jeder Klasse bereithalten sollten, so schnell wie möglich wieder auszulaufen um am Kaiserpokal teilzunehmen. In Kiel Schilksee angelegt gab es daher eine klare Aufgabenverteilung. Das Boot so schnell wie möglich wieder Wettkampf fähig machen – Spis packen, Genuas legen, das abgezählte Wasser auffüllen, Aufräumen. Derweil lief ich zum Wettfahrtbüro, um herauszufinden, ob wir gewonnen hatten. Wir hatten gewonnen! Wir sind Deutsche Meister ORC Inshore! Im Wettfahrtbüro drückte man mir einen Tracker für den Kaiserpokal in die Hand – „Am Heckkorb festmachen“ hieß es. Ich sprintete zurück zum Steg, Schilksee ist riesig, vor allem wenn es schnell gehen muss und das Boot im Nordhafen liegt. Aus der Entfernung sahen mich Max, Anna, Thorben, Alex und Matze kommen, ich hielt den Tracker wie eine Trophäe in die Luft. Jubel brach unter ihnen aus. Ich konnte sie nicht hören, aber auch sie wussten nun: Wir sind Deutsche Meister! Nun hieß es schnell Auslaufen und an die Startlinie zum Kaiserpokal, Gewinner gegen Gewinner, jede Klasse war vertreten, von der Melges24 bis zu Jochen Schümanns TP52. Die Melges24 hat leider das Startsystem eines Känguru-Starts nicht verstanden und blockierte unseren sonst perfekten Pin-End-Start. Protestflagge raus, aber das half natürlich nichts. So mussten wir uns am Ende Jochen Schümann geschlagen geben. Egal – wir sind Deutscher Meister!
Saisonausklang
Nächste Station Travemünder Woche. Nach der KiWo ein starkes Kontrastprogramm – Leichtwind. Jetzt heißt es das Boot so leicht wie möglich machen, Diesel abzählen, die große Genua raus und den Mast gerade hinstellen. Ähnlich wie im Leichtwind-Drama vor Helgoland waren wir auch bei diesen Bedingungen schnell und gewannen die Travemünder Woche.
Völlig berauscht vom Erfolg dieser Saison kam das ganze Team zur Mitgliederversammlung im folgenden Winter wieder zusammen. Der HSC ehrte jedes Crew-Mitglied mit einem kleinen gravierten Silberteller – Inschrift „Meister 2012“.
Die Silber-Ausbeute dieser Saison war überwältigend genau wie der Zuspruch und die Aufmerksamkeit, die wir auf uns gezogen hatten. Der Hamburger Senat lud uns ins Rathaus ein und verlieh uns den German Offshore Award. Die Presse schrieb über uns und nannte uns „Die Titelsammler“. Mit dieser Aufmerksamkeit ging nicht nur ein höheres Budget für die kommende Saison einher – dringend nötig, da wir einen neuen Mast benötigten – es kamen auch neue Segler ins Team. Ein wachsendes Team profitiert von neu mitgebrachten Ideen und einer gewissen Interdisziplinarität. Allerdings wuchs der Entscheidungsdruck einer größeren Anzahl an Seglern die begrenzten Crewpositionen an Bord zuzuweisen. Insbesondere da wir die ORC Europameisterschaft in der folgenden Saison auf Sandham, Schweden, bestreiten wollten. Relativ schnell war klar, dass wir auf kurz oder lang ein größeres Boot mit mehr Platz benötigen würden. Doch das ist das nächste Kapitel.
Dankbarkeit
Überwältigt von Dankbarkeit, dass wir das Budget für einen neuen Mast zusammen hatten, haben wir den alten Mast zersägt. Ganz richtig, zersägt. In ca. 20cm lange Stücke und bedruckt mit unseren in 2012 gesammelten Erfolgen. Max und ich haben uns ins Auto gesetzt und uns auf eine Tour durch Norddeutschland gemacht. Wir haben jedem der uns unterstützt hat ein Stück RubiX-Mast überreicht und unsere Dankbarkeit ausgedrückt. Von HSC-Funktionären und Impulsgebern bis hin zu Marco Haase unserem Segelmacher in Lübeck.
Bericht und Bilder: Karl Gurgel